Im Gebäude Helsinki der Europa Universität Flensburg wird vom 10.10. bis zum 26.10.2017 eine Wanderausstellung mit dem Titel „Europa, was machst du an deinen Grenzen“ gezeigt. Sie befasst sich mit dem Schicksal von Flüchtlingen auf dem Weg in die Europäische Union. Gezeigt werden Bilder und Texte von Ingeborg Heck-Böckler, Mitglied bei Amnesty International Aachen. Sie bereiste in den Jahren 2013 und 2014 Marokko und war auf Schiffen auf dem Mittelmeer unterwegs. Im Jahr 2014 war sie im Rahmen einer internationalen Amnesty-Delegation hauptsächlich in Italien. Im Jahr 2015 war sie erneut in Marokko und sah dort die hoffnungslose Situation der Flüchtlinge, die dort festsitzen. Im Jahr 2016 wurde der sogenannte “Dschungel von Calais” dokumentiert, bevor dieser geräumt wurde. In diesem Jahr wurde das Thema “Seenotrettung” aufgegriffen.
Die »Festung Europa« kostet Jahr für Jahr mehr Menschenleben. Hunderte Flüchtlinge sterben immer wieder bei dem Versuch, die europäischen Küsten zu erreichen, weil sie verdursten oder ertrinken. Einige werden von Patrouillenbooten abgefangen und in ihre jeweiligen Herkunftsländer oder Transitländer zurückgeschickt. Unzählige weitere stranden in angrenzenden Ländern, wo ihre Rechte nicht respektiert werden. Über 23.000 Menschen sind Schätzungen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) zufolge seit dem Jahr 2000 auf der Flucht nach Europa ums Leben gekommen. Viele von ihnen fliehen vor Verfolgung, Folter und anderen Misshandlungen, andere, um der extremen Armut in ihren Herkunftsländern zu entkommen. Allen gemein ist jedoch, dass sie sich in Europa ein besseres Leben erhoffen. Viele von ihnen erreichen ihr Ziel allerdings nie.
Markus N. Beeko, Generalsekretär der deutschen Sektion von Amnesty International:
Die Weltflüchtlingszahlen des UNHCR zeichnen ein dramatisches Bild: gegen Ende des Jahres 2016 waren weltweit 65,6 Millionen Menschen auf der Flucht – die höchste Anzahl seit dem zweiten Weltkrieg. Diese Menschen fliehen vor bewaffneten Konflikten, Verfolgung und massiver Diskriminierung – zum Beispiel vor den Gräuel des bewaffneten Konfliktes in Syrien, der mittlerweile seit sechs Jahren tobt und über 5 Millionen Menschen zur Flucht aus ihrem Heimatland gezwungen hat. Oder vor der Gewalt in Afghanistan: Laut der UN-Hilfsmission in Afghanistan ist die Anzahl ziviler Opfer im Jahr 2016 auf ein trauriges Rekordniveau von 11.418 getöteten und verletzten Menschen gestiegen. Und auch der aktuelle Amnesty International Report 2016/2017 zeigt: Gleichzeitig nehmen Repressalien und Menschenrechtsverletzungen in vielen Ländern zu, die Menschen vielerorts zwingen, vor Gewalt und Verfolgung zu fliehen.
Während die Mehrheit der Menschen auf der Flucht vor Krieg und bewaffneten Konflikten als Binnenvertriebene weiterhin im eigenen Land leben, retten sich auch viele Flüchtlinge in die Nachbarländer ihres Herkunftslandes. Hier sind es wirtschaftlich schwächere Länder, die 84% der Flüchtlinge weltweit aufnehmen – nicht Europa. Diese Länder und die sich dort aufhaltenden Flüchtlinge werden von der internationalen Staatengemeinschaft nicht ausreichend unterstützt – so sind die UN-Hilfsprogramme chronisch unterfinanziert.
Im Jahr 2015 erreichten mit rund einer Million Schutzsuchender außergewöhnlich viele Menschen Europas Küsten, meist nach einer lebensgefährlichen Überfahrt. Während Bürger_innen eine grenzenlose Hilfsbereitschaft zeigten, scheiterten die EU-Regierungen daran, europaweit für eine menschenwürdige Aufnahme und rechtstaatliche Asylverfahren zu sorgen, wie auch daran, solidarisch und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Einige Mitgliedstaaten der EU entzogen sich dieser Verantwortung sogar durch das Ziehen von Zäunen innerhalb Europas. Dabei wäre die Aufnahme der verhältnismäßig geringen Zahl von in Europa angekommenen Schutzsuchenden gut zu bewältigen, wenn alle europäischen Regierungen an einem Strang ziehen würden.
2016 stieg die Zahl der bei der Überfahrt nach Europa ertrunkenen Menschen auf über 5.000 – damit war es das tödlichste Jahr seit diese Zahl erfasst wird.
Eine verantwortungsvolle Antwort hierauf muss beinhalten: 1. Eine Seenotrettung, die Gerettete an einen sicheren Ort bringt, wo sie Zugang zu einem fairen Asylverfahren haben; 2. die Öffnung von mehr sicheren und legalen Zugangswegen für schutzsuchende Menschen und 3. das viel konsequentere Einfordern und Hinwirken auf besseren Menschenrechtsschutz in Transit- und Herkunftsländern.
Kooperationen mit Staaten, bei denen nur die Migrationskontrolle, nicht aber der Flüchtlingsschutz im Vordergrund steht, können dagegen zu weiteren Menschenrechtsverletzungen führen: Wenn beispielsweise durch Migrationskontrolle Menschen noch umfassender daran gehindert werden, aus Ländern wie Libyen zu fliehen – ein Land, in dem Flüchtlinge und Migrant_innen willkürlich für unbestimmte Zeit inhaftiert werden und in Haft misshandelt, gefoltert und ausgebeutet werden. Diese Menschen brauchen Schutz. Das Menschenrecht, Asyl zu suchen – also Schutz vor Gewalt und Verfolgung – ist in Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wie auch in Artikel 18 der Grundrechte-Charta der Europäischen Union verbrieft. Es soll Schutz bieten für Menschen, denen im Heimatland schwere Menschenrechtsverletzungen drohen, und ist unverzichtbar in Zeiten von zunehmenden Repressalien, andauernden bewaffneten Konflikten sowie Verfolgung und Gewalt.
Wenn die aktuelle Politik zahlreicher Regierungen die schutzsuchenden Menschen im Stich lässt, sind wir alle gefragt, uns für das Menschenrecht „Asyl zu suchen“, stark zu machen. Wir können und sollten die Politiker_innen unserer Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten an diese unsere gemeinsame menschenrechtliche Verantwortung erinnern.
Berlin, im Sommer 2017 Markus N. Beeko Generalsekretär der deutschen Sektion von Amnesty International